Entstehungszeit: Weimar/Köthen (Leipzig?)
Ein sehr konzentriertes und bei starker Anspannung des Ausdrucks etwas in sich gekehrtes Stück Musik, das sich in seiner vollen Schönheit erst nach näherem Kennenlernen erschließt. Strikter und allgegenwärtiger Bezugspunkt der fünfstimmigen Fantasie ist ein unaufwendiges, nur einen einzigen Takt umfassendes, doch latent hochexpressives Thema:
Charakteristisch der durch besondere Notation hervorgerufene Seufzer auf dem dritten Viertel (siehe x). Das Thema dürfte einer Fuge in a-moll von Nicolas de Grigny (1672-1703) entnommen sein, wo es beinahe gleichlautend erscheint; Bachs Hochschätzung dieses französischen Orgelkomponisten läßt sich daraus ableiten, daß er sich eine Abschrift seiner Stücke (Premier Livre d’Orgue 1699) anfertigte. Erstaunlich, was Bach nun diesem spröden Gedanken abgewinnt, wie er aus ihm ein volle 81 Takte langes Stück entwickelt, in welchem es immer wieder nur um dieses Thema geht, das insgesamt 49 (!) Mal erscheint.
Es entsteht folgende formale Gliederung: als uns vielfach begegnenden Bachschen Kunstgriff (vgl. u.a. Fantasie und Fuge c-moll BWV 537), hören wir zunächst eine “gedoppelte Exposition”, d.h. nach 12taktiger imitierender Entwicklung über dem Orgelpunkt C (Grundtonart) erklingt ein im wesentlichen identischer Passus auf der Dominante (Orgelpunkt G). Danach belebt sich das Geschehen dadurch, daß nun auch das Pedal in den thematischen Dialog eingreift; die Musik strebt dabei in die gelösteren Gefilde der Paralleltonart Es-Dur. In der Mitte des Stücks angelangt, geht es dann aber – erneut eingetrübt – über die mit einem F-Orgelpunkt nachdrücklich markierte Subdominanttonart f-moll in die Ausgangstonart zurück. 10 Takte vor Schluß wird endgültig auf deren Grundton als Coda-Orgelpunkt (C) abkadenziert.
Doch ist es hier kaum die Gestaltung der größeren Zusammenhänge, die auf den Hörer einwirkt. Vielmehr sind es die ausdrucksstarke Dichte des Satzes, die zunehmende innere Spannung, vor allem die schmerzlich-lyrische Harmonik, die uns ansprechen und mitnehmen. Fünf Takte vor Schluß löst sich der streng gebändigte Ausdruck: in einer geistvoll vertieften Variante des Formklischees “Tokkatenschluß” (Sechzehntellauf über Akkordballung) wandelt sich die innere zu äußerer, hochschießender Bewegung, um endlich in einen C-Dur-Akkord abzusinken.
Die ebenfalls fünfstimmige Fuge, die der autographen, dritten und letzten Fassung der Fantasie in Bachs später Konzeptschrift (1745) folgt, ist leider nicht vollständig (überliefert). Ihr Thema ist die Umkehrung der ersten Hälfte des Themas der Passacaglia c-moll für Orgel (BVV-582, siehe dort):
Leider bricht der überlieferte Teil schon nach 27 Takten ab. Der Ernst ihres Wesens und die Dichte des Satzes stellen die Fuge in große innere Nähe zur Fantasie. Das frühe Auftreten einer Durchführung mit Engführungen zu Beginn des zweiten Abschnitts läßt vermuten, daß größere kontrapunktische Entwicklungen folgten bzw. geplant waren (Doppelfuge?).
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- Zuletzt aktualisiert: 20. Mai 2014
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