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Entstehungszeit: Weimar/ Köthen/ Leipzig (?)

Das mit versierter Routine nach allen Regeln der Kunst gebaute, doch keineswegs nur “akademisch” daherkommende, sondern den melancholisch-nachdenklichen Zug seines Themas in lebendiger Steigerung bewältigende Stück ist im historischen Genre des “stile antico” (in seiner hochbarocken, mit wohltemperierter Stimmung rechnenden Ausformung) komponiert. Als Folge dieser entindividualisierenden Normierung kann es in Zweifelsfällen Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Autors einer solchen Komposition geben. Die meisten der nicht gerade zahlreichen Quellen der Fis-Dur-Fuge weisen das Stück Bachs Lieblingsschüler Johann Ludwig Krebs zu. Dagegen lassen sich weder stilistisch noch aus Gründen der Qualität Zweifel anführen, denn Krebs komponierte auf sehr hohem handwerklichem Niveau und – nach heutigen Kriterien – in stilistisch großer, oftmals epigonaler Nähe zu seinem Meister. Eben darum aber könnte die Fuge genausogut aus Bachs Feder stammen, – und hier spielt nun der Umstand eine Rolle, daß der älteste Textzeuge (Mitte 18. Jhdt.) als einziger die Fuge Bach selbst zuschreibt. Aus diesem Grund hat die Komposition Eingang in den Ergänzungsband IV, 11 der neuen Bach-Ausgabe von 2003 gefunden.

Das Thema der vierstimmig gesetzten Fuge bietet kontrapunktisch und harmonisch interessante Entfaltungsmöglichkeiten. Seine Chromatik gewährleistet auch ohne weit ausgreifende Modulationen harmonischen Abwechslungsreichtum, und sein Duktus ermöglicht Engführungen in natürlicher wie tonaler Beantwortung (Comes – Dux bzw. Dux – Dux im Quintabstand, jeweils beide einen Takt nacheinander einsetzend). Als Beispiel dafür die Takte 79ff. (tonale Beantwortung)

bwv97-1

und 106ff. (natürliche Beantwortung)

bwv97-2

Zur Gestaltung des Ablaufs: Das Thema tritt zunächst zweimal als Dux-Comes-Paar auf (Takte 1-12/ Tenor-Baß, 16-27/ Sopran-Alt, unterbrochen von einer dreitaktigen Überleitung). Ein neuntaktiges Zwischenspiel in nun kompletter Vierstimmigkeit leitet zum locker geformten zweiten Teil (37-78/79) über, der sich, zweistimmig beginnend, abermals zur Vierstimmigkeit steigert. Immer noch im Fis-Dur-Raum, hören wir das Thema im Tenor (Dux) und dann, nach zweitaktiger Überleitung, ein weiteres Mal als Dux in gis-moll. Elf in flüssiger Dreistimmigkeit musizierende Takte führen zu einem Themeneinsatzpaar in H- und Fis-Dur (beide als Dux), worauf die abermals erreichte Vollstimmigkeit mit einem viertaktigen Nachspiel zu Ende geht.

Im dritten Teil (79-117) kommt es nun zu intensiver kontrapunktischer Verdichtung: gleich vier verschiedene Engführungen in fast pausenloser Abfolge machen ihn zum formalen Brennpunkt der Komposition. Die ersten beiden Engführungen (Fis-Dur) lassen tonale (T. 79/80 und 85/86), die beiden nächsten (gis-moll/dis-moll sowie Fis-Dur/Cis-Dur) natürliche Beantwortung des Themas hören (T. 97/98 und 106/107). Ein fünftaktiges Nachspiel in voller Vierstimmigkeit schließt den Teil ab.

Ein frei gestaltetes Intermezzo von 10 Takten sorgt nun dadurch für neu belebte Aufmerksamkeit, daß es den in Takt 70 schon einmal gestreiften Einfall, Kontrapunkte als wohlklingende Terzenketten zu installieren, steigernd aufgreift: gleich zwei Terzenketten werden nun in klangvoller Gegenbewegung zueinander geführt. Sie münden in Takt 125 in so demonstrativer Weise in die Dominante ein, daß die Stelle wie eine Doppelpunktzäsur vor dem nun einsetzenden Schlußteil wirkt.

Dessen Beginn markiert eine zweistimmige Engführung zwischen Baß und Tenor in der Abfolge Comes – Dux (von der ab übrigens das Orgelpedal den Baß wirkungsvoll übernehmen könnte). Noch einmal lockert sich die massiv gewordene Vierstimmigkeit auf, die Diktion der Kontrapunkte wird ekstatischer, gestikuliert in großen Intervallen. Neue Intensivierung bewirken die letzten drei Themeneinsätze, zunächst im Baß (139), dann in paariger Abfolge im Alt und Tenor (Dux – Comes). Lebhafte Achtelbewegung im Baß (wie sie schon einmal in Takt 66f. anklang) leitet in die pompöse, sich zu sechs Stimmen auffächernde Schlußkadenz.

Alles in allem ein ebenso überlegt wie souverän-locker gestaltetes Stück Musik, bei dem Bachs Autorschaft anzunehmen wirklich das Nächstliegende ist. Die entlegene Tonart Fis-Dur ließe sich damit erklären, daß die Fuge im Zusammenhang mit den Arbeiten am Wohltemperierten Klavier entstanden ist, aber – wie andere auch – letztlich zugunsten gelungenerer oder passenderer Stücke nicht in dessen Corpus aufgenommen wurde (Verschwiegen sei aber nicht, daß es gerade ein Charakteristikum von Joh. Ludwig Krebs ist, in entlegenen Tonarten zu komponieren, was eine Zuweisung des Stücks an ihn wieder in den Bereich des Denkbaren rückt  vielleicht eine von Bach beaufsichtigte Studienarbeit?).

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by-sa

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